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Mir ist kürzlich „Die Grasharfe“ von Truman Capote in die Hände gefallen. Tatsächlich habe ich bis dato noch kein einziges Buch des amerikanischen Schriftstellers gelesen. Trotzdem war er mir spätestens seit 2005 bekannt, als der Film „Capote“ herauskam, den ich mir sofort anschaute – nicht etwa weil mich der Schriftsteller Truman Capote interessierte, sondern weil ich damals einfach jeden Film mit Philip Seymour Hoffman ansah. Letzterer spielte die Hauptrolle – also Capote – und er spielte ihn so überzeugend, dass er dafür den Oscar gewann.

Überzeugend heißt: Er verkörperte ihn offenbar so, wie Capote wirklich war – und er muss ein echt schräger Vogel gewesen sein. Seine Stimme, sein Habitus, die Gesten, alles wirkt wahnsinnig schrullig. Das hat mich derart abgestoßen, dass ich danach stets einen großen Bogen um Capotes Bücher gemacht habe.

Die Grasharfe: Das Leben aus einer anderen Perspektive betrachtet

Nun habe ich mich also doch dazu überwunden, mal die Nase in eines seiner Bücher zu stecken. Doch vorerst habe ich mich für einen sehr schmalen Band entschieden: „Die Grasharfe“ ist eine recht kurze Erzählung. Und eines muss man Capote lassen, schreiben kann er. Einmal mehr gelange ich zu der Überzeugung, dass ich mich besser nicht mit der Person hinter dem Werk beschäftigen sollte. Oft irritiert das nur.

Ähnlich wie Carson McCullers in ihrer „Ballade vom traurigen Café“ konzentriert sich Capote auf die Außenseiter einer kleinen Stadt im Süden der Vereinigten Staaten. Drei in die Jahre gekommene (Halb-)Schwestern – eine lesbisch, eine mehr Naturgeist als echter Mensch und eine Schwarze, die vorgibt, Indianerin zu sein (und deshalb ihre Wangen knallrot schminkt) nehmen einen Waisenjungen auf, der viel zu klein ist für sein Alter.

Aus seiner Sicht wird ein Streit erzählt, der die Schwestern spaltet und dazu führt, dass sich der Naturgeist und die Indianerin zusammen mit dem Waisen in ein Baumhaus in den die Stadt umgebenden Wäldern flüchten, um gänzlich in Freiheit zu leben.

Nach und nach gesellen sich immer mehr Außenseiter zu ihnen, doch die Etablierten (allen voran die lesbische Schwester) wollen die Ordnung wiederherstellen: Ein regelrechter Kleinkrieg bricht aus, in dessen Folge sich die Fronten immer weiter verhärten.

Die Krise gibt den Figuren neue Impulse

Das alles schildert Capote mit sehr viel Wärme für seine Figuren und würzt seine Geschichte stets mit einer Prise Humor. Für seine Protagonisten mag die Eskalation des Streits das Drama ihres Lebens sein, doch es bringt sie auch voran – weiter als sie jemals zuvor gewesen sind. Denn zum ersten Mal sind sie gezwungen, zu reflektieren und es steigt Angst in ihnen auf: Was ist, wenn ihr Leben Verschwendung war? Wenn sie es doch ganz anders – vermeintlich besser – gelebt hätten?

„Ich dachte, ich würde wissen, was recht ist. Aber das ist nicht so – ich weiß es nicht. Wissen andere Menschen es? Wählen zu dürfen, dachte ich – ein Leben zu leben, das ich selbst entscheide…“
„Aber wir haben unser Leben gelebt“, warf Verena ein. […]
„Ist das wahr, Charlie?“ […] „Haben wir unser Leben gelebt?“
„Wir sind noch nicht tot“, sprach er tröstlich zu ihr […], eine unwiderlegbare, aber unbefriedigende Antwort. Dolly konnte sie nicht annehmen: „Nicht zu leben, dazu braucht man nicht tot zu sein. Zu Hause in der Küche ist eine Geranie, die blüht und blüht. Viele Blumen blühen aber nur einmal, wenn überhaupt, und sonst geschieht nichts mit ihnen. Sie sind noch am Leben, aber sie haben ihr Leben gelebt.“

Truman Capote: Die Grasharfe

MM


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