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Rezension zum Buch „Schäfchen im Trockenen“ von Anke Stelling

Drei Jahre ist es her, dass ich „Schäfchen im Trockenen“ von Anke Stelling lesen wollte, weil mir die Rezensionen zum Buch so gefallen haben. Nun endlich habe ich es geschafft. Warum hat es nur so lange gedauert? -Vermutlich weil mir die im Deutschunterricht behandelten Klassiker die Lust an Deutscher Literatur ordentlich vergällt haben. Obwohl ich in letzter Zeit oft Glück hatte – Robert Seethalers Ein ganzes Leben oder Altes Land von Dörte Hansen haben mir gefallen – traue ich deutschsprachigen AutorInnen immer noch nicht so recht über den Weg.

Zugegeben, gelesen habe ich Stellings Roman tatsächlich nicht, stattdessen habe ich mir das Hörbuch aufs Handy geladen. Und ich habe es wirklich gerne gehört, konnte es oft kaum erwarten, es wieder anzuschalten. Dabei ist die Handlung in ein paar Worten erzählt:

Sie beschreibt das Ende einer Freundschaft, das die Protagonistin, Resi, selbst herbeigeführt hat.

Die schwäbischen Weltverbesserer kommen

Es war eine besondere Freundschaft, denn sie hatte bereits in Kindheitstagen begonnen – zwischen einer schwäbischen Clique, die es Mitte der Neunziger Jahre nach Berlin verschlägt und die später im Prenzlauer Berg erwachsen wird.

Schwaben im Prenzlauer Berg, hmmm, das Klischee ist bekannt. Und tatsächlich handelt das Buch auch ein wenig von Gentrifizierung, doch dazu später mehr…

Besonders ist die Freundschaft auch deshalb, weil Resi, die Ich-Erzählerin in Schäfchen im Trockenen, die einzige „Aufsteigerin“ unter Kindern aus gehobenem Elternhaus ist. Ihre Familie stammt aus einfachen Verhältnissen, doch trotz finanzieller Engpässe empfinden sich die Eltern nicht der Unterschicht zugehörig. Sie legen Wert auf Bildung. Resi ist stets Klassenbeste, macht Abitur und studiert.

Trotzdem wird sie die einzige in ihrer Clique bleiben, die sich in Berlin keine Eigentumswohnung leisten kann. Ihre Freunde hingegen starten im Prenzlberg ein Bauprojekt. Nicht nur weil sie teils auf Privat-Unis waren und gut bezahlte Berufe ergriffen haben, sondern vor allem, weil ihre Eltern kräftig zuschießen. Kapital, von dem Resi nur träumen kann.

Ein Riss macht sich bemerkbar, den Resi, die als selbstständige Autorin und Journalistin arbeitet, in ihren Artikeln für Zeitungen sowie in ihrem ersten Buch beschreibt und verarbeitet. Über dieses mehr oder minder autobiografische Werk zeigen sich ihre Freundinnen und Freunde alles andere als begeistert, denn es legt die Lebenslügen der Gesellschaft und jedes einzelnen von ihnen bloß:

Dass die Unterschiede zwischen den Gesellschaftsschichten nie ausgemerzt, sondern nur totgeschwiegen wurden. Resi war in den Augen ihrer Freunde niemals ebenbürtig. So sieht sie das jedenfalls. Aber stimmt das auch?


Wut im Bauch

Die Herkunft aber bleibt stets Zukunft.

Martin Heidegger

Dass es kaum Kohärenz zwischen den sozialen Schichten gibt, beschäftigt Soziologen und andere Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten, gar Jahrhunderten. Auch Romanciers widmen sich mit Vorliebe dem Sujet der armen Unterschichtler, die keine Chance auf Besserung ihrer Lebenssituation haben. Dass die Sprösslinge zumeist denselben Lebensweg einschlagen wie ihre Eltern, also auch demselben Milieu verhaftet bleiben, legt zum Beispiel der Roman „Wie später ihre Kinder“ beängstigend genau offen.

Die Crux dabei ist: Es sind Werke über Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, geschrieben von Menschen, die diese Verhältnisse oftmals nie am eigenen Leib erfahren haben. Denn wer gesellschaftlich weit unten steht, hat gewöhnlich keine Stimme, die es in die Öffentlichkeit schafft. Bildung hin oder her, Unterschichtler arbeiten nicht für angesehene Verlage, sie schreiben nicht fürs Feuilleton überregionaler Zeitungen, selten lehren sie an Universitäten oder engagieren sich politisch. Dafür fehlt ihnen schlicht die Eintrittskarte in die „bessere Gesellschaft“: der Habitus, die guten Kontakte, das Erbe.

Als Angehörige des Bildungsprekariats lebt sie trotz Arbeit in Armut

Die Autorin Anke Stelling ist eine der wenigen Ausnahmen. Ihre Eintrittskarte ist ihr beißendes literarisches Werk. Und genau deshalb habe ich ihr Buch so geliebt: Weil es Informationen aus erster Hand liefert und mit einem Furor geschrieben wurde, den deutsche Literatur sich selten erlaubt. Ihre Protagonistin Resi ist stinksauer, denn ihre Armut kotzt sie an. Vor allem aber findet sie es wahnsinnig ungerecht, dass es ihren Freunden besser geht als ihr, obwohl sie doch alle denselben Bildungsweg beschritten haben.


Ein schwerwiegender Vorwurf

„Schäfchen im Trockenen“ erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse, Stellings Buch schaffte es sogar auf die Spiegel-Bestsellerliste. Der Erfolg hat allerdings seinen Preis: Resi – das Alter Ego der Autorin Anke Stelling – setzt ihre Freundschaft aufs Spiel. Und verliert.

Ihre schwäbische Clique wendet sich von Resi ab, was ich nachvollziehen kann. Denn die Anklagen, die Resi gegen die „verlogenen“ Freunde hervorbringt, sind aus meiner Sicht nicht fair.

Vor allem wirft sie ihnen vor, ihre einstigen Ideale verraten zu haben.

Die Clique zieht es in jungen Jahren nach Berlin, wo sie nicht nur studieren, sondern vor allem gegen das Establishment rebellieren will. Hier hätte der Studentin Resi doch bereits auffallen müssen, dass es einen Unterschied macht, ob man aus der Not heraus ein Haus besetzt und sich gegen das System auflehnt, oder ob man dieses „Anarcho-Spiel“ jederzeit abbrechen und sich eine richtige Wohnung suchen kann.

Lippenbekenntnisse und Gentrifizierung

Resis Freunde revoltieren natürlich nicht wirklich, sie feiern lieber Partys. Und Resi feiert mit. Mit Beendigung des Studiums wenden sie sich folgerecht einem geregelten Leben zu, ziehen um, ergreifen „bürgerliche Berufe“. Resi verfolgt denselben Lebensweg, nur eben mit weniger Gehalt, was allerdings am Job liegt: Als freiberufliche Autorin kommt sie finanziell kaum über die Runden, pflegt aber den gleichen Lebensstil wie ihre Freunde.

Erst das Bauprojekt treibt einen Keil zwischen die Clique und sie. Resi kann nicht mehr mithalten. Resi bleibt außen vor. Sie fühlt sich benachteiligt und gibt der Gesellschaft die Schuld, die behauptet, man müsse sich nur anstrengen, dann könne man alles erreichen. Ihre Wut bekommen vor allem ihre FreundInnen zu spüren. Diese hätten die Verhältnisse schließlich ändern können, haben sie doch gemeinsam von einer egalitären Gesellschaft geträumt. Damals mit Anfang 20.

Mittlerweile treiben sie das Gegenteil voran, nämlich die Gentrifizierung des Prenzlauer Bergs.


Wer lügt hier wen an?

Die Gesellschaft ist nicht gerecht. Einige müssen sich mehr anstrengen als andere. Und viele Berufe werden aus nicht nachvollziehbaren Gründen finanziell schlechter entschädigt als andere. Die sozialen Berufe, in denen vornehmlich Frauen arbeiten, zum Beispiel. Künstler, die nicht den Durchbruch geschafft haben. Oder eben freie Autoren und Journalisten.

Das kenne ich gut, weil auch ich als freie Autorin arbeite. Mein Mann verdient siebenmal mehr als ich. Dabei haben wir dasselbe studiert und kommen aus ähnlichen Verhältnissen. Trotzdem mache ich dafür nicht die Gesellschaft verantwortlich. Ich hätte ja den gleichen Job ergreifen können wie er, aber ich habe mich dagegen entschieden – und zu dieser Entscheidung stehe ich.

Diese Eigenverantwortlichkeit vermisse ich bei Resi. Stattdessen zeigt sie mit dem Finger auf ihre Freunde, die ihre Schäfchen lieber ins Trockene bringen, als das System zu revolutionieren. Gesetzt den Fall, Resi hätte genug Geld, würde sie sich aber ebenso am Bauprojekt beteiligen und eine Eigentumswohnung erwerben. Da bin ich mir zu 100% sicher. Am Ende habe ich das Gefühl, sie ist die einzige im Buch, die sich selbst etwas vormacht.


„Schäfchen im Trockenen“ wirft jede Menge Fragen auf. Schon lange wurde ich nicht mehr derart zum Nachdenken angeregt. Schon deshalb ist der Roman von Anke Stelling sehr, sehr lesens- und empfehlenswert.

MM



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