Die Integration nimmt Fahrt auf! Nach knapp zwei Jahren Brandenburg waren wir nun zu unserem ersten Dorfbums eingeladen. Trotzdem waren wir alles andere als begeistert über die Einladung. Dorfbumsen hatten wir bis dato schon von Ferne beigewohnt. Unsere Nachbarn veranstalten hin und wieder einen. Für uns hatte das immer den Anschein, als handele sich dabei um Familienfeiern unter Asozialen. Auf keinen Fall wollten wir uns das aus der Nähe anschauen. Aber was hat man schon vor an einem Freitagabend? -Das Staffelfinale unserer Lieblingsserie auf Netflix gucken, reicht als Vorwand mit Sicherheit nicht aus. Tagelang grübelten wir, aber uns fiel einfach keine Ausrede ein.
Ich habe ja selbst meine Jugend auf dem Dorf verbracht, der Dorfbums war mit bislang jedoch nicht bekannt. Ich könnte jetzt behaupten, das sei etwas typisch Brandenburgisches, aber damit würde ich dem Bundesland unrecht tun. Es liegt wohl näher, den Dorfbums einem bestimmten Milieu zuzuordnen.
Im Prinzip ist der Dorfbums ja eine ganz normale Party. Sie findet allerdings im Garten des Gastgebers statt. Im Winter. Ich habe mich lange gefragt, weshalb die Leute nicht einfach drinnen in ihren Häusern feiern, da ist es schließlich warm. Alles ist ein wenig privater, heimeliger und weniger öffentlich. Als Antwort erhielt ich: Weil wir grillen. Damit der Typ am Grill nicht so einsam ist, stellen sich die Gäste also zu ihm? Ich habe eher den Eindruck, man will Dreck in der Bude vermeiden. Wer weiß, zu fortgeschrittener Stunde kotzt dir vielleicht einer hinter die Schrankwand. Dann lieber doch in den Garten. Kann Bello hinterher aufschlecken. Hinzu kommt der Umstand, dass 90% der Gäste Raucher sind. Auch das ein Beweggrund, die Feier nach draußen zu verlagern.
Da es im Januar nicht sonderlich warm ist, wird die Feiertonne angeschmissen. Die hat hier jeder im Garten. Auf meine Frage, woher sie alle diese Tonnen haben, bekam ich zwei verschiedene Antworten:
A) Die gibt’s für 20 Euro auf Amazon, und
B) Ich kenne einen, der arbeitet bei – hab ich wieder vergessen – und der kann immer mal wieder so’ne Tonne rausschleusen. Wollt ihr eine haben? -Ich kann den fragen…
Besonders schlaue Gäste haben für den Anlass extra ihre Weihnachtsbäume aufgehoben, damit sie die Feuertonne damit füttern können. Das knistert so schön. Beim letzten Dorfbums wurde sogar zusätzlich ein Heizstrahler aufgestellt. Noch einmal: Wir standen vor dem beheizten Haus. Wir hätten ja auch reingehen können. Aber nein, das ist ja ein Dorfbums, da darf der Gast höchstens zum Pinkeln mal aufs Klo.
Draußen spielt die Musik, wortwörtlich. Die Stereoanlage hat der Gastgeber vorsorglich nach draußen getragen und mit einer Bassrolle von Kumpel XY verstärkt, damit alle Nachbarn im Umkreis von zwei Kilometern mitbekommen, dass gerade ein Dorfbums stattfindet, zu dem sie nicht eingeladen sind. Für nostalgische Gefühle sorgt die Bravo Hits 7, wahlweise auch die Techno-Hits `92-`96 im Wechsel mit Helene Fischer und Peter Maffay.
Wir trabten also mit den geringstmöglichen Erwartungen zum Haus unserer Gastgeber – mit Umweg über Netto, um einen Gutschein zu kaufen. Schließlich wollten wir nicht ohne Geschenk zum Dorfbums gehen.
Hinweis per Whatsapp: Bitte nehmt nicht die Eingangstür. Kommt gleich hinten durch den Garten. Die Gartentür war kaum zu verfehlen. Lichterketten sorgten für Helligkeit, eine Discokugel drehte sich bereits unterm Carport-Dach, Dr. Alban kam noch ziemlich leise aus den Lautsprechern. Von den 50 erwarteten Gästen waren erst 20 anwesend, was es uns leichter machte, jeden mit Händedruck zu begrüßen. Vor zwei Jahren noch hätte ich den Fehler begangen, nur Hallo in die Runde zu werfen. Mittlerweile habe ich den Brandenburg-Knigge verinnerlicht. Das Würstchen vom Grill wurde innerhalb von fünf Minuten wieder kalt, also schnell mit Sektchen runtergespült. Dann zur Feuertonne. Nach drei randvollen Bechern Sekt fühlte ich mich echt gut und unterhielt mich angeregt mit der Mutter der Gastgeberin, die auch schon recht angetüdelt schien. Wenn du dich einmal drauf einlässt, ist so ein Dorfbums nicht nur urgemütlich, dir fallen zudem sofort die „anderen“ auf, vermutlich aus Potsdam oder schlimmer noch: Berlin. Neben uns saß doch tatsächlich eine junge Frau, die ausschließlich Kräutertee trank. Krass. Und dann diese Brillenschlangen, die es wagten, nicht einmal „Hallo“ in die Runde zu werfen und stattdessen gleich im Haus – ich wiederhole: IM HAUS – verschwanden. Ich probierte währenddessen noch einen Hähnchenflügel vom Grill, der noch unangenehmer schmeckte als das Würstchen zuvor. Na, immerhin war die Feuertonne nicht weit.
Wir verschwanden trotzdem schon vor Mitternacht. Dabei ging die Party noch bis vier. Getanzt wurde erst, nachdem wir weg waren. Aber die Bravo Hits 7 können wir uns bestimmt ausleihen, wenn wir selber mal feiern wollen. Vollständig abgeschlossen wird unsere Integration nämlich erst dann sein, wenn wir selbst zum Dorfbums laden. Viel Zeit haben wir nicht mehr, der Winter ist fast vorbei. Aber Amazon liefert bekanntlich schnell, selbst Feuertonnen. Fragt sich nur, wer kommen will…
MM
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