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Gedanken über „Leben als Konsum“, von Zygmunt Bauman

Ausgerechnet das Zitat eines anderen hat mich in diesem Buch von Zygmunt Bauman am meisten berührt:

Als potentiell Besitzende werden Sie Langeweile und Überdruß empfinden an: Ihrer Arbeit, Ihren Freunden, Ehepartnern, Liebhabern, am Blick aus Ihrem Fenster, an Mobiliar oder Tapeten Ihres Zimmers, an Ihren Gedanken, an sich selbst. Dementsprechend werden Sie versuchen, sich Fluchtwege auszudenken. Abgesehen von dem erwähnten Instrumentarium zur Selbstbelohnung greifen Sie vielleicht zu folgenden Maßnahmen: Wechsel von Job, Wohnung, Umgang, Land, Klima; Sie mögen es probieren mit Promiskuität, Alkohol, Reisen, Kochstunden, Drogen, Psychoanalyse. Tatsächlich können Sie all das auf einmal tun, und eine Weile mag das funktionieren. Bis zu dem Tag freilich, an dem Sie in Ihrem Schlafzimmer inmitten neuer Familie und neuer Tapeten aufwachen, in einem anderen Staat und Klima, mit einem Haufen Rechnungen Ihres Reisebüros und Therapeuten, doch mit demselben schalen Gefühl angesichts des Tageslichts, das in Ihr Fenster fällt.

joseph brodsky: Der sterbliche Dichter. Über Literatur, Liebschaften und Langeweile

Eine Flucht ist unmöglich. So bitter es ist, man entkommt sich einfach nicht. Ich kann die Worte Brodsky’s gut nachempfinden.

Um dieses Zitat herum baut Zygmunt Bauman sein eigenes Gedankengerüst auf. Leider nicht ganz so verständlich geschrieben wie der Textausschnitt vermuten lässt. Im Gegenteil, der Soziologe spickt seine verschachtelten Sätze gerne mit lateinischen, englischen und französischen Fachausdrücken. Wenn man Glück hat, erschließen sie sich aus dem Textzusammenhang. Leider hatte ich häufig Pech und es tauchte lediglich ein großes Fragezeichen über meinem Kopf auf. Tatsächlich musste ich mich immer wieder fragen, ob ich zu blöd für dieses Buch bin. Möglicherweise sitze ich auch einfach zu tief im Teller, um die Möglichkeit zu ergreifen, über dessen Rand zu spähen.

Bauman hat dies offenbar getan. Er schreibt schließlich über Leute wie mich, Mitglieder der Konsumgesellschaft. Und in lichten Momenten habe ich mich und meine Mitmenschen wirklich in seinen Beschreibungen wiedererkannt.

Wie wir uns selbst verkaufen

So lautet eine seiner Hauptthesen, dass in unserer Konsumgesellschaft nicht nur Waren erworben werden, sondern dass sich der Mensch selbst in eine Ware verwandelt.

Um den eigenen Marktwert zu steigern, ist man folglich stets bemüht, sich selbst zu verkaufen – selbstverständlich indem man konsumiert und sich so mit eindeutig erkennbaren Symbolen des persönliches Wertes auszustatten. Eine logische Folge dieser Form der Selbstvermarktung ist die Entstehung sozialer Medien. Schließlich muss der Konsument seine Konsumgüter zeigen. Sie sollen gesehen und für gut befunden werden. Er soll gesehen und geliked werden. Dies steigert nicht nur den Wert des Konsumenten. Es zeigt darüber hinaus, dass er seine Chancen genutzt hat, statt sie unnütz verstreichen zu lassen. Der Zuschauer bewundert ein Individuum, das sich stets weiterentwickelt, um immer besser zu werden.

Das Verfallsdatum einer Entwicklungsstufe ist allerdings schnell erreicht. Somit ist das Mitglied der Konsumgesellschaft gezwungen, immer wieder neu zu investieren – sei es in Dinge, Reisen, Erlebnisse, PartnerInnen und alles, was sich sonst noch käuflich erwerben und hervorzeigen lässt. Es kann nie stehenbleiben. Der Mensch ist getrieben von immer neuen Konsumaktivitäten.

So weit, so logisch.

Nutzlos: Menschen ohne Marktwert

Was mich an Bauman’s Aussagen stört, ist ihre fatalistische Natur: Angeblich hat man keine andere Wahl, als sich dem Konsum hinzugeben. Ein Ausbruch aus dem System würde den Ausschluss aus der Gesellschaft nach sich ziehen. Wer sich dem Konsum entzieht (und somit nicht für das Wachstum der Wirtschaft sorgt), werde zum Menschen ohne Marktwert, völlig nutzlos, parasitär.

Und dennoch genießt man heutzutage die Freiheit, sich für ein Leben in Armut zu entscheiden. Das behaupte ich zumindest. Früher hingegen konnten Landstreicher, Bettler und Obdachlose ohne Prozess für Jahre in dunkle Verliese gesperrt werden.

Bauman überträgt dieses Früher ins Heute, indem er schreibt, dass arme Menschen in der Konsumgesellschaft per se kriminalisiert, deportiert und gefangengenommen werden. Hier wird deutlich, dass der Soziologe selbst denkt, man müsse eben kriminell werden, wenn man kein Geld hat, um sich die vom Markt gepriesenen Waren legal zu kaufen. Da kommen bei mir Zweifel auf. Nun denn, Bauman relativiert seine Aussage doch noch, indem er schreibt:

Je stärker die Konsumnachfrage […], desto sicherer ist die Konsumgesellschaft und desto mehr floriert sie, während gleichzeitig die Kluft zwischen jenen, die Wünsche haben und in der Lage sind, sich diese Wünsche zu erfüllen (jenen, die verführt worden sind und anschließend so handeln, wie es dem Zustand, verführt worden zu sein, entspricht), und jenen, die ordnungsgemäß verführt wurden, aber nicht in der Lage sind, so zu handeln, wie es von ordnungsgemäß Verführten erwartet wird, immer größer und tiefer wird. Zu Recht gepriesen als ein großer Gleichmacher, ist die Verführung durch den Markt zugleich ein außerordentlich und unvergleichlich effektiver Spaltungsmechanismus.

Zygmunt Bauman: leben als konsum

Und nun?

Licht am Ende des Tunnels wird nicht erkennbar. Das irritiert an „Leben als Konsum“. Bauman beschreibt in knapp 200 Seiten, wie schrecklich diese Welt ist, offeriert jedoch keinerlei Handlungsoptionen. Alternativen? -Fehlanzeige.

Was bleibt mir vom Buch also? -Die Freude darüber, nicht zur underclass zu gehören, und weiter meiner Selbstvermarktung zu frönen?

Was hilft es, den eigenen Konsum in Frage zu stellen, wenn man der Konsumgesellschaft doch nicht entkommen kann?

MM



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