Das Reisen ist schon eine komische Sache: Man begibt sich an einen fremden Ort, an dem man es so schön findet, dass man am liebsten bleiben würde, und dann muss man schweren Herzens doch wieder nach Hause fahren.
Auch dieses Jahr hatte ich Angst vor der Heimkehr (und der damit verbundenen Traurigkeit), doch diesmal war es anders. Unser Garten sah immer noch so schön grün und gesund aus, genau so verwunschen, wie ich ihn mir erträumt hatte, als ich ihn angelegt habe, dass ich mich tatsächlich freute, wieder hier zu sein.

Ein weiterer Grund für meine gute Laune ist wahrscheinlich unser Reiseziel gewesen. In die Ferne hat es uns dieses Jahr nämlich nicht verschlagen. 2025 stand für uns ganz im Zeichen Deutschlands, das unseren Kindern – bis auf Berlin und Brandenburg – bislang weitestgehend unbekannt geblieben ist. Urlaub war in den vergangenen zehn Jahren für uns gleichbedeutend mit “ins Ausland reisen”.
Deutschland ist übrigens mit Abstand das beliebteste Reiseziel der Deutschen, gefolgt von Spanien, Italien und der Türkei.
Familienzeit zwischen Rhein und Mosel

Und so beschlossen wir, all das zu erkunden, was wir bisher nur dem Namen nach kannten. Besonders Westdeutschland war bis zu diesem Urlaub ein weißer Fleck auf unserer Landkarte. Im Frühjahr ging’s also erst einmal nach Franken, genau genommen nach Bamberg (wunderschön!), im frühen Sommer nach Hamburg (Berlin ähnlicher als ich dachte) und Wismar (genial) und in den Sommerferien ins Ruhrgebiet, gefolgt von der Eifel. Da wir die meiste Zeit in der Eifel verbrachten, liegt mein Augenmerk im Reisebericht auf ebenjener Region.
Ein großer Pluspunkt des Deutschlandurlaubs ist die einfache und recht schnelle Erreichbarkeit aller Reiseziele: Mit Auto oder Bahn brauchten wir nie länger als 5 Stunden.
Von Burgen, Wäldern und Städten: Wanderungen in der Eifel
Weil uns die Ferienwohnung auf Airbnb dort am besten gefiel, landeten wir in Manderscheid, einem 1500-Seelen-Ort in der sogenannten Vulkan-Eifel. Durch Zufall war es ein touristisch bestens erschlossener Ort: Zahlreiche Wanderwege starteten quasi vor unserer Haustür, es gab zwei Burgen in nächster Nähe, Klettersteige, Restaurants, ein tolles Schwimmbad, Tennisplätze und Supermärkte. (Unser Brandenburger Heimatnest hat doppelt so viele Einwohner, aber nur einen Bruchteil der aufgezählten Attraktionen.)

Trotzdem war es sehr ruhig, was das Touristenaufkommen betrifft: Auf unseren Wanderungen begegneten wir nur hin und wieder anderen Leuten. Viele Urlauber fanden sich vor allem in jenen Ortschaften ein, die über die Grenzen der Region bekannt sind: Cochem zum Beispiel platzte aus allen Nähten, obwohl es auf mich den eher abschreckenden Eindruck eines Disneylands für Rentner machte.
Auch in Trier waren viele Menschen unterwegs, aber selbst dort konnte man nicht von “Overtourism” sprechen. Es war unser erster Urlaub mit Hund, was insbesondere in der ältesten Stadt Deutschlands zu zahlreichen netten Begegnungen führte. Immer wieder wurden wir auf Maggie angesprochen, viele wollten sie streicheln. Ja, Trier ist extrem hundefreundlich. Nicht nur dort, sondern in ganz Rheinland-Pfalz fanden wir vor Restaurants, Geschäften und Museen immer wieder “Hunde-Bars”, also Schüsseln mit Wasser für die Vierbeiner.
Reiseplanung mit ChatGPT
Eine unserer letzten Wanderungen führte uns rings um den Laacher See, ein Ausflugsziel, das vor allem bei älteren Menschen sehr beliebt ist. Das wussten wir vorher natürlich nicht. Wir hatten Laach bis dato überhaupt nicht auf dem Schirm. Den Besuch verdankten wir einzig und allein unserem Sohn, der unbedingt eine Brauerei besichtigen wollte. Er fragte also ChatGPT nach einem Ziel in der Region, wo sich eine Wanderung mit dem Besuch einer Brauerei verknüpfen ließe – und die KI spuckte Laach aus – inklusive der Beschreibung des Wanderwegs plus Restaurantempfehlungen mit Bewertung. Erst da wurde mir bewusst, dass man heutzutage überhaupt keine Reiseführer mehr benötigt, sondern den kompletten Urlaub mit ChatGPT planen kann. Gruselig, aber praktisch.
Überwiegend Rentner reisen in die Eifel

Wobei der Laacher See (wie garantiert viele Ausflugsziele) auch Schattenseiten hat, über die im Internet nichts steht. Insofern crawlt die KI natürlich nur Positives. Soll heißen: Der Laacher See ist der Hotspot für Senioren, vermutlich weil die Umrundung ohne Höhenunterschiede verläuft. Trotzdem braucht man etwa drei Stunden, wenn man nicht mehr sonderlich schnell ist. Und das ist für viele Menschen älteren Semesters offenbar problematisch, denn so lange müssen sie theoretisch ohne Toilette auskommen. Lediglich auf dem Besucherparkplatz und im angrenzenden Kloster gibt es öffentliche Toiletten. Perfiderweise wurden immer jene Spots als Naturklo missbraucht, die eigentlich als Sehenswürdigkeiten deklariert sind, zum Beispiel ein alter Steinbruch. Ich stand jedesmal inmitten von zerknüllten Papiertaschentüchern, wenn ich mir eine solche Sehenswürdigkeit mal näher anschauen wollte. Eklig.
Baden darf man im Laacher See leider nur auf dem Bereich des Campingplatzes, wo man Eintritt zahlen muss. Der Rest ist Naturschutzgebiet.

Vermutlich ist die Eifel bei Rentnern auch deshalb so beliebt, weil dort viel Wein angebaut wird. Man kann sich den ganzen Tag weglöten und gilt trotzdem (oder gerade deshalb) als kultiviert. Leider neigt der ein oder andere Zeitgenosse zur Selbstüberschätzung und nimmt Spaziergänge in Angriff, denen die Blase nicht mehr gewachsen ist – mit unkultiviertem Ausgang.
Bei unseren Touren habe ich mich zumeist am Wanderführer “Wanderspaß mit Kindern Eifel” orientiert, obwohl meine Kinder eigentlich schon groß sind. Doch die Länge und Schwierigkeit der beschriebenen Wanderwege war genau richtig für meine kleinen Bewegungsmuffel. Außerdem handelte es sich bei den Touren jedesmal um kleine Schätze, die wir ohne das Buch nie gefunden hätten: Abwechslungsreiche Wege durch wunderschöne Natur, oft verbunden mit Sehenswürdigkeiten wie Burgruinen, Höhlen, Wasserfällen oder Schluchten.
Abstecher ins Ahrtal

Eine dieser Wanderungen führte uns sogar ins Ahrtal, ohne dass wir uns dessen zuvor bewusst waren (als Ausgangspunkt wurde nur der Ort Mayschoß genannt, was wir nicht mit dem Ahrtal in Verbindung brachten). Da der Wanderführer vor dem verheerenden Hochwasser veröffentlicht (und seither nicht aktualisiert) wurde, stimmte der ursprüngliche Weg natürlich nicht mehr mit dem überein, den wir dort vorfanden. Wir kamen uns ein klein wenig voyeuristisch vor, zumal man immer noch zerstörte Häuser und unzähige Baustellen sehen konnte. Den Weinbergen ringsum schien die Katastrophe jedoch nichts ausgemacht zu haben. Auf dieser Wanderung hatten wir jede Menge Trauben zu naschen.
Fazit
Dass Deutschland extrem vielseitig ist, wussten wir schon vor unserem Urlaub. Und doch wurde es uns erst so richtig bewusst, als wir unsere Wochenendausflüge und Reisen unternommen haben. In der Eifel hatten wir durchweg nur schöne Erlebnisse. Darüber hinaus war das Wetter optimal zum Wandern und Baden.

Im Ruhrgebiet dagegen gingen unsere Meinungen auseinander: Das tourstisch überlaufene Kölner Zentrum wurde von meinen Männern hochgelobt, während sie Essen (wo wir die Zeche Zollverein anschauten) in Grund und Boden redeten. Zugegeben, vom rein ästetischen Standpunkt war das Stadtzentrum tatsächlich nicht schön. Essen machte einen etwas düsteren Eindruck, hinzu kam das hohe Verkehrsaufkommen, das sich vor allem aufs Auto konzentrierte. Im Berufsverkehr waren lange Staus ein alltägliches Phänomen.

Eine Randbemerkung
Außerdem wimmelte es in der Essener Fußgängerzone von dubiosen Gestalten, aber sowas dürfte für gebürtige Berliner, die Männl und Sohn ja sind, ein gewohnter Anblick sein. Junkies, Bettler, Obdachlose, Psychischkranke und Menschen mit Migrationshintergrund gehören – so fatalistisch es klingt – zum Stadtbild. Folglich verstand ich nicht, weshalb die beiden in Essen so viel Aufhebens darum machten. Hier brach der erste und einzige Urlaubsstreit zwischen uns aus, denn ich konnte ihre Haltung auch deshalb nicht nachvollziehen, weil es uns aus familiären Gründen regelmäßig nach Polen verschlägt. -Und was wir dort schon an städtischer Baukunst bewundern konnten, ist an Hässlichkeit wirklich kaum zu überbieten. Daran erinnert zeigten sie sich zwar einsichtig. Jedoch: Für die polnische Tristesse hatten sie Verständnis. Dass das Ruhrgebiet, das beide sinnbildlich mit dem Goldenen Westen assoziierten, ebenfalls triste Ecken (und Armut!) aufweist, enttäuschte sie.

Unsere Differenzen haben mich allerdings zum Nachdenken angeregt. Auch wenn es über einen Reisebericht weit hinaus geht, stelle ich mir doch die Frage, warum Armut und ihre Ausprägungen (Obdachlose, Flaschensammler, Suchtkranke, Dealer, Verwahrloste) in Städten wie Berlin und Essen sehr sichtbar ist, während zum Beispiel Trier überhaupt nicht davon betroffen zu sein scheint. Dass es dennoch Armut in Trier gibt, bezweifle ich indes nicht. Nur scheint man sie dort besser in den Griff zu bekommen. Villeicht liegt es einfach an der Zahl der Obdachlosen, Suchterkrankten etc.: Sie halten sich dort in Grenzen.
Wahrscheinlich wirken Metropolen wie Berlin magnetisch auf Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen, weil es eine etablierte Drogenszene gibt (Angebot und Nachfrage beeinflussen sich bekanntlich gegenseitig), aber auch ein breites Hilfsangebot, und weiterhin jede Menge Gleichgesinnte. Eine Verdrängung kommt schon deshalb nicht in Frage, weil es zu viele Betroffene sind. Wo erstmal Armut ist, gehört sie tatsächlich zum Stadtbild, somit arrangieren sich die übrigen Einwohner wohl oder übel damit. Man wird blind für jene Randgruppen, bis man als Touri im Ruhrgebiet pikiert feststellt: Boah, is ja so hässlich hier, diese Armut, pfui!
MM
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